Medizinische Lage in Nepal: Interview mit Prof. Johannes Schulze

June 9, 2024

Wie bin ich zu Nepal Health gekommen, warum engagiere ich mich dort?

Ich habe bis vor kurzem, d.h. bis zu meinem Eintritt in den Ruhestand, an der Goethe-Universität Frankfurt im Fachbereich Medizin unterrichtet. Dabei hatte ich viel Kontakt mit Studierenden gehabt, auch denen mit Schwierigkeiten im Studium. Und dann kam eines Tages Pradip [jetzt ist er Arzt, so dass dies Hindernisse überwunden wurden] zu mir – er erzählte von seinen Problemen im Studium, aber auch von seiner Vision, in seiner Heimat im Südosten Nepals die Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Ich bin zwar Arzt und sollte daher „Medizin“ kennen, aber von der Medizin unter nicht-europäischen Bedingungen hatte ich nur wenig Erfahrung aus erster Hand. Gut finde ich es, dass dieses Projekt von Pradip ausgeht, und nicht „von außen“. Ich wusste von Freunden, dass in anderen Ländern Gesundheit anders gesehen und oft auch anders definiert wird als in Deutschland. Von Kollegen und anderen Studierenden wusste ich, dass (in Lateinamerika und Afrika) in vielerlei Rahmen sowohl medizinische Hilfe geleistet werden kann, aber auch, dass viele Menschen sich Gesundheit nicht leisten können. Aber „gesehen“ und selbst erfahren hatte ich es nicht. Dann war ich mit Pradip in Nepal und habe durch ihn auch „normale“ Dörfer im Südosten des Landes sehen können, ich konnte „normale“ Menschen treffen, und ein „normales“ nepalesisches Krankenhaus besichtigen. Dies ist nicht die Touristensicht, bei der solche Einblicke nicht gesucht werden, und ggfs. Auch nicht möglich sind. Auch in Nepal kann ein Europäer/Tourist in sehr guten Krankenhäusern für europäische Summen medizinisch versorgt werden, mit europäischem Standard. Von den Nepali können sich das aber nur wenige leisten, in ärmeren Gegenden, zu denen der Südosten mit seinen etwa 20 Millionen Bewohnern zählt, müssen sehr viele Menschen von 50-100€ / Monat pro Monat leben, brutto wohlgemerkt. Gesundheit für die breite Bevölkerung ist daher etwas anderes als in Deutschland.

Meine eigenen Erfahrungen mit dem nepalesischen Gesundheitssystem

Mittlerweile war ich zwei weitere Male in Nepal, insbesondere bei persönlich bekannten Ärzten an einem staatlichen und einem privaten Medizinischen College in Chitwan. Hierdurch – sowie durch Pradips Hilfe - bekam ich auch weitere Einblicke. Bei diesen Aufenthalten hatte ich auch Gelegenheit, für Studierende und interessierte Ärzte ein paar Seminare abzuhalten, auch zu meinem eigentlichen Spezialgebieten der Pharmakologie und Toxikologie, zu Evidenz-basierter Medizin und zu Nebenwirkungen von Lebensmitteln und Arzneimitteln.

Manche europäische medizinische Probleme existieren auch in Nepal, oft aber in anderer Form. Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) ist schon etwas anders definiert als in Deutschland; der Nachweis wird dadurch erschwert, dass eigentlich nur in Kliniken eine Blutzuckerbestimmung möglich ist. Die Behandlung, d.h. die Einstellung des Blutzuckers dort würde jedem deutschen Arzt die Haare ergrauen lassen – aber für Nepal macht es Sinn. Auch Krebs existiert in Nepal, ähnlich wie in Deutschland, dieser wird aber oft später diagnostiziert und ist dann in einem Stadium, wo eine längerfristige Heilung nicht mehr möglich ist. Infektionskrankheiten sind dort „anders“ - andere Erreger, andere Diagnostik, andere Therapien, andere Heilungsaussichten. Vorsorge für Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Krebsfrüherkennung etc. wie in Deutschland ist in Nepal nicht etabliert (auch wenn sich jetzt dort etwas tut). Was am meisten fehlt, ist vielleicht noch mehr als eine gute Klinikversorgung eine Basisversorgung vor Ort in Gesundheitsstationen wie Health Posts. Vor allem im sehr dicht besiedelten Südosten Nepals fehlen Gesundheitsstationen mit einer vernünftigen Ausstattung.

Derzeitige medizinische Versorgung in Nepal – persönliche Eindrücke

Nepal ist kein homogenes Land. Für Deutsche ist Nepal das Land der 8000er Berge, die im Westen und Norden die Landschaft dominieren. Diese Teile sind schön und alpinistisch/touristisch erschlossen, aber eher dünn besiedelt. Im Südosten leben auf einer relativ kleinen Fläche (9 600 km²) etwa 5 Millionen Menschen, das Land ist flach und geographisch eher wie die Schwemmebenen der großen indischen Flüsse. Viele Hilfsprojekte sind dagegen in den bergigen Regionen präsent; diese Regionen sind ein sehr großes Gebiet, oft auch unzugänglich. Viele Projekte kümmern sich um akute Erkrankungen oder Behandlungen, die einmal durchgeführt werden, und danach keine weitere Nachsorge erfordern (z.B. das Korrigieren von entstellenden Narben, Fehlstellungen von Gelenken – X-Beine und O-Beine). Auch fließt viel Hilfe in die medizinische Versorgung von Kindern und Schwangeren. Speziell im Osten Nepals ist eine Augenklinik (in Lahan), andere medizinische Probleme und die Prävention von Erkrankungen dagegen sind bisher kaum beachtet worden.

Was wird in Nepal medizinisch gebraucht – subjektive Eindrücke

Aus meinen subjektiven Eindrücken aus dem Südosten des Landes besteht ein großer Bedarf an der Grundversorgung von häufigen Krankheiten. Hierzu gehören Tuberkulose, Lepra, HIV, ich habe auch Kinder mit Poliomyelitis-Lähmungen gesehen, was aber durch Impfungen schon seltener geworden ist. Andere Infektionskrankheiten, vor allem Darminfektionen durch Viren, Bakterien Amöben (Ruhr) oder Würmer, sind häufig, und könnten auch gut erkannt und behandelt werden; hier sind oft nur die schweren Verläufe in den Statistiken enthalten. Für mich ist hier ein großer Nachholbedarf in Hygiene, einschließĺich einer guten Hygiene-Schulung auch der Laienbevölkerung nötig. Malignome werden in der Statistik Nepals nur wenige aufgeführt (vor allem Schilddrüse, Leber, Magen, Mundboden-Karzinome); mein persönlicher Eindruck ist, dass dieses wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass die Patienten nach der Diagnose sich zurückziehen und ohne Behandlung daheim versterben. Die im Südosten wie in Indiens Norden oft schlechte Luftqualität zeigt sich in sehr vielen Atemwegserkrankungen, v.a. wieder Infekte und Asthma. Und nicht vergessen werden dürfen die bei uns als Zivilisationskrankheiten angesehenen Krankheiten wie Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Nierenversagen und Arthrosen. Alle Erkrankungen können früh erkannt werden, benötigen aber eine anschließende langfristige Behandlung, fehlen tut es sowohl an der Früherkennung als auch an einer zuverlässigen langfristigen Behandlung und Kontrolle.

Womit kann am meisten Patienten am besten geholfen werden?

Wir können Nepal kein deutsches Gesundheitssystem überstülpen, und „dann ist alles gut“; das wird den Menschen nicht gerecht, dass wird ihrer Kultur nicht gerecht, und es entspricht auch nicht ihren Bedürfnissen. Viel wäre aber schon geholfen, wenn eine gute Früherkennung etabliert wird, die in Deutschland von den niedergelassenen Ärzten durchgeführt wird, und in Nepal müsste dies in Health Posts etabliert werden. Wo es noch keine entsprechenden posts gibt, d.h. auch dem Lande, müssen diese auch baulich geschaffen werden, in Städten können oft auch existierende Räumlichkeiten umgewidmet werden. Gebraucht wird eine entsprechende Ausstattung; Blutdruckmanschetten existieren, aber schon Blutzucker-Meßgeräte sind nicht regelmäßig vorhanden. Des weiteren sind u.a. ein EKG ist notwendig, sowie ein einfaches Ultraschallgerät, und die Möglichkeit einfacher laborchemischer Methoden für den Nachweis von z.B. Infektionen oder Niereninsuffizienz. Für die Größe des Problems kann man ausrechnen, dass ein Health post vielleicht 20 000 Einwohner versorgen kann; dann würden allein für die Provinz 2, die einen größeren Teil des Südostens ausmacht, 250 entsprechende Einrichtungen aufgebaut werden müssen.

Notwendig erscheint mir auch, dass den Menschen verständlich gemacht wird, welche Rolle eine Prävention spielt. Bei der Prävention soll eine Krankheit verhindert werden, das Geld für die Prävention wird also ausgegeben, ohne dass Beschwerden vorliegen; einem armen Menschen ist das schwer beizubringen. Gute Ideen hierfür sind willkommen, aber diese Aufklärung muss durch nepalesische Institutionen erfolgen (kulturelle, religiöse, sprachliche Gruppen).

Zusammengefasst:

1.     Stärkung der medizinischen Basisversorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten

2.     Ermöglichung einer langfristig stabilen Versorgung mit Medikamenten (auch temperatursensiblen)

3.     Etablierung und Stärkung „ambulanter“ Strukturen

4.     Etablierung einer Vorsorge/Präventionsmaßnahmen

5.     Etablierung von Früherkennungen bei Risikopatienten

6.     Keine Förderung von „spektakulären“ Maßnahmen, die nur wenigen Menschen helfen

7.     keine Förderung von Maßnahmen, die langfristig für den Patienten und seine Umgebung nicht tragbar sind.

Nepal Health ist ein deutscher Verein, dessen Gründungsimpuls allerdings aus Nepal stammt. Dieser Umstand und die Absicht, dass die neu aufgebauten Strukturen von nepalesischen Ärzten geleitet werden, die in Deutschland oder anderen Ländern der 1. Welt ausgebildet wurden, gewährleistet eine Medizin für Nepal durch Nepalis, finanziell und ideell unterstützt durch unseren Verein.

Mit freundliche Grüßen

Ihr Nepal Health e.V. Team

Pradip Yadav

(Vorsitzender)

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Reference:
Nepal Health e.V.